Neue Rechtsprechung bei Tankunfällen

(verpd) Kommt ein Beschäftigter beim Betanken seines Privatfahrzeugs zu Schaden, steht er auch dann nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, wenn sich die Tankstelle auf dem direkten Weg von beziehungsweise zu seiner Arbeitsstätte befindet. Mit diesem Urteil weicht das Bundessozialgericht von seiner bisherigen Rechtsprechung zu Unfällen beim Tanken ab (Az.: B 2 U 9/18 R).

Eine Arbeitnehmerin war nach Arbeitsschluss in ihren Pkw gestiegen, um auf direktem Weg zu ihrer 75 Kilometer entfernt befindlichen Wohnung zu fahren. Beim Start des Fahrzeugs ertönte ein Warngeräusch. Gleichzeitig leuchtete die Tankanzeige auf. Sie signalisierte ihr, dass die Kraftstoffmenge nur noch für eine Strecke von maximal 70 Kilometern reichen würde. Die Frau fuhr daher zu einer an der Wegstrecke gelegenen Tankstelle. Nach dem Tanken rutschte sie auf dem Weg zur Kasse auf einem Treibstofffleck aus. Dabei zog sie sich eine Sprunggelenksfraktur zu.

Wegen deren Folgen wollte sie Leistungen von der gesetzlichen Unfallversicherung in Anspruch nehmen. Denn sie habe das Fahrzeug betanken müssen, um nach Hause kommen zu können. Weil sie dazu den direkten Weg zu ihrer Wohnung nur unwesentlich habe verlassen müssen, handele es sich ihrer Ansicht nach um einen versicherten Wegeunfall. Das sah die für sie zuständige Berufsgenossenschaft (BG) als ein Träger der gesetzlichen Unfallversicherung nicht so. Daher verklagte die Verunfallte die BG.

Direkten Heimweg durch das Tanken mehr als unterbrochen

Doch das für den Fall zuständige Sozialgericht Meiningen und anschließend das Thüringer Landessozialgericht vertraten nicht die Ansicht der Klägerin. Auch mit ihrer beim Bundessozialgericht eingelegten Revision hatte die Frau keinen Erfolg. Nach Meinung der Richter ist der gesetzliche Unfallversicherer nicht dazu verpflichtet, den Zwischenfall als Arbeitsunfall anzuerkennen. Nach Ansicht des Bundessozialgerichts stand das Betanken des privaten Fahrzeugs der Klägerin nicht mehr im Zusammenhang mit ihrer Beschäftigung.

Denn ihre Arbeitszeit sei zum Zeitpunkt des Unfalls bereits beendet gewesen. Ein Beschäftigter stehe zwar auf dem direkten Heimweg unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Diesen Weg habe die Versicherte durch das Tanken und die damit im Zusammenhang stehenden Tätigkeiten jedoch mehr als nur geringfügig unterbrochen. „Die Handlungen standen daher als privatwirtschaftliche Verrichtungen nicht unter dem Schutz der Wegeunfallversicherung“, so das Bundessozialgericht.

Keine Vorbereitungshandlung

Der Tankvorgang sei auch nicht als sogenannte Vorbereitungshandlung ausnahmsweise versichert gewesen. Denn Vorbereitungshandlungen würden nur dann in den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung einbezogen, „wenn sie einen besonders engen zeitlichen, sachlichen und örtlichen Bezug zur versicherten Tätigkeit aufweisen und dieser bei wertender Betrachtung so nahestehen, dass ihre Einbeziehung gerechtfertigt erscheint“, so das Gericht.

Das Auftanken eines privaten Fahrzeugs erfülle diese Voraussetzungen nicht. Denn es diene lediglich allgemein der Erhaltung der Betriebsfähigkeit des Kraftfahrzeugs.

Unterbrechung nicht geringfügig – Abkehr von bisheriger Rechtsprechung

Die Unterbrechung des Heimwegs der Klägerin sei auch nicht als nur geringfügig anzusehen. Das Betanken eines Fahrzeugs könne nämlich nicht „im Vorübergehen“ erledigt werden. Das Anhalten, Aussteigen, Betanken und Bezahlen stelle vielmehr eine äußerlich beobachtbare und von der Zurücklegung des Weges deutlich unterscheidbare neue Handlungssequenz dar. Mit dem Tankvorgang als solchem sei die Unterbrechung des Weges zur Wohnung der Klägerin auch noch nicht beendet gewesen.

Denn dazu hätte der ursprünglich geplante und unterbrochene Weg wieder fortgeführt werden müssen. „Soweit der Senat in der Vergangenheit Tanken in den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung einbezogen hat, wenn es auf dem Weg notwendig wurde, um den versicherten Endpunkt zu erreichen, wird klargestellt, dass hieran nicht festgehalten wird“, heißt es abschließend in einer Mitteilung des Bundessozialgerichts zu dem Urteil.

Lückenhafter gesetzlicher Unfallschutz

Das Urteil zeigt, dass die gesetzliche Unfallversicherung nur einen lückenhaften Schutz bei Unfällen bietet, denn viele Tätigkeiten, auch wenn sie im unmittelbaren Bereich der Berufsausübung erfolgen, sind hier nicht versichert. So gibt es zum Beispiel in der Regel keinen gesetzlichen Unfallschutz für alle Freizeitunfälle.

Doch auch wenn ein gesetzlicher Unfallschutz besteht, sind Leistungen gerade bei einer unfallbedingten Invalidität meist nicht ausreichend, um die dadurch entstehenden finanziellen Mehrbelastungen und Einkommensausfälle zu kompensieren. Die private Versicherungswirtschaft bietet diesbezüglich Lösungen wie eine private Unfall-, Berufsunfähigkeits- und/oder Krankentagegeld-Versicherung an, um Betroffene trotz eventuell fehlendem oder unzureichendem gesetzlichem Schutz finanziell abzusichern.


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